Wirecard-Manager Jan Marsalek offenbar nach Weißrussland geflüchtet

Wirecard-Manager Jan Marsalek offenbar nach Weißrussland geflüchtet

Es ist eines der größten Rätsel seit dem Zusammenbruch von Wirecard: Wo ist Vizechef Jan Marsalek? Seine Mitarbeiter sahen ihn zum letzten Mal am Tag seiner Freistellung, dem 18. Juni 2020. Man wähnte ihn auf den Philippinen, auf Mauritius, irgendwo in Asien.

Doch dort dürfte er kaum sein.

Nach gemeinsamen Recherchen des SPIEGEL, der Investigativplattformen Bellingcat und The Insider sowie des US-amerikanischen McClatchy Report führt Marsaleks Spur nach Weißrussland.

Im russischen Ein- und Ausreiseregister, das mangels Kontrollen an der Binnengrenze zwischen beiden Staaten auch Weißrussland umfasst, ist für Marsalek eine Eintragung nur Stunden nach seiner Freistellung bei Wirecard zu finden. Demnach reiste der 40-Jährige in der Nacht vom 18. Juni auf den 19. Juni über den Flughafen der Hauptstadt Minsk nach Weißrussland ein, genau zwei Sekunden nach Mitternacht. Er benutzte dafür einen der Reisepässe, den er bereits zuvor bei Reisen an andere Ziele verwendet hatte. Die Daten des Dokuments sind dem SPIEGEL und seinen Kooperationspartnern bekannt.

Eine Wiederausreise ist in den Datenbanken bislang nicht verzeichnet, was darauf hindeutet, dass sich Marsalek noch immer in Weißrussland oder in Russland befindet.

Zunächst war spekuliert worden, Marsalek halte sich auf den Philippinen auf. Er sei dort auf der Suche nach insgesamt 1,9 Milliarden Euro, die in den Büchern der Wirecard AG fehlten, wurde bei Bekanntwerden des Skandals zunächst kolportiert. Laut der Datenbank der philippinischen Einwanderungsbehörde war Marsalek am 23. Juni in das Land eingereist und hatte es am 24. Juni Richtung China wieder verlassen. Wenig später verkündete der philippinische Justizminister Menardo Guevarra jedoch, dass Einwanderungsbeamte die Daten frisiert hätten, um eine falsche Spur zu legen.

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Die neuen Erkenntnisse nähren die These, der Ex-Vorstand von Wirecard habe mit russischen Geheimdiensten kooperiert oder gar für sie gearbeitet. So prahlte Marsalek nach Informationen des SPIEGEL vor Dritten, er sei mit russischer Hilfe in die syrische Stadt Palmyra gereist.

Nach Angaben der britischen „Financial Times“ soll Marsalek außerdem bei einem Treffen mit Händlern und Investoren in London als geheim eingestufte Papiere der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) zum Anschlag auf den russischen Ex-Agenten und Überläufer Sergej Wiktorowitsch Skripal im März 2018 herumgereicht haben. Die Dokumente enthielten auch eine detaillierte Ausführung der russischen Verschwörungstheorie, wonach das Nervengift in Großbritannien hergestellt worden sei. Westliche Strafverfolger und Nachrichtendienste schreiben den Anschlag eindeutig Russlands Militärgeheimdienst GRU zu.

Marsalek rühmte sich seit Jahren seiner Kontakte ins Geheimdienstmilieu. Wenngleich viele seiner bekannt gewordenen Aussagen eher wie Aufschneidereien wirken denn als Informationen aus Nachrichtendienstkreisen.

Allerdings hielt nach Informationen des SPIEGEL und von Bellingcat zumindest der russische Inlandsgeheimdienst FSB Marsalek für so interessant, dass er dessen Reisebewegungen anhand von Buchungsdaten ab spätestens 2015 weltweit überwachte. Demnach reiste Marsalek oft nach Singapur und Dubai, doch auch Trips nach Indien, Usbekistan und in die Türkei sind vermerkt.

In dem von Moskaus Dienst gespeicherten Daten gibt es allerdings erhebliche Lücken. So ist oft nicht ersichtlich, wie Marsalek an bestimmte Orte gelangte, von denen er dann weiterreiste.  Zudem sind in den FSB-Datenbanken ab 2016 keine Reisen Marsaleks mehr nach Russland verzeichnet, was den neuen Informationen widerspricht.

Die Daten aus dem russischen Ein- und Ausreiseregister zeigen, dass Marsalek seit 2010 häufig nach Russland gereist ist. Ab 2016 geht die Zahl der Eintritte in das Land zwar zurück, dennoch reiste der Wirecard-Vorstand auch nach 2016 mehrfach dorthin.

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Wie genau Marsalek nach Weißrussland gekommen ist, ist unklar. Zu seiner Einreise ist in den russischen Datenbanken keine Flugnummer vermerkt, dagegen findet sich ein kryptischer Hinweis auf einen „Einmalflug“. 

Nach in dieser Woche vom „Handelsblatt“ zitierten Kurznachrichten an einen Vertrauten jedenfalls soll Marsalek geäußert haben, er könne zur Not „genauso raus, wie ich reinkam“, im „Businessjet“. Auf die Frage, ob die politischen Verhältnisse in seinem Aufenthaltsland stabil seien, soll Marsalek in den Chats geantwortet haben:  „Ja, sind immer noch dieselben Leute am Ruder wie vor 25 Jahren.“

Das gilt nur für wenige Staaten auf der Erde. In Weißrussland zumindest ist der dortige Herrscher Alexander Lukaschenko seit Juli 1994 im Amt.

Icon: Der Spiegel

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