Sind Leservorurteile schuld an geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Sportberichterstattung? Diese Studie sagt nein » Nieman Journalism Lab
Dass Sportmedien mit Vielfalt und Vorurteilen zu kämpfen haben, ist nicht neu. Erst vor wenigen Monaten gab’s einen Bericht der University of Central Florida Institut für Vielfalt und Ethik im Sport fanden heraus, dass in den USA und Kanada nur 19 Prozent der Personalstellen im Sportjournalismus von Frauen besetzt sind.
Aber jetzt eine Längsschnittstudie Ein Blick auf die Bylines über 15 Jahre zeigt, dass Frauen nicht nur unterrepräsentiert sind – sie gewinnen nicht einmal viel an Boden. Und die Leser sind nicht die Schuldigen.
Einige Vorbehalte vorweg: Die Studie untersuchte zwischen 2006 und 2020 nur die Verfasser einer Zeitung – der Süddeutschen Zeitung aus München. Die Ergebnisse können also auf andere Verkaufsstellen oder Rundfunkmedien verallgemeinert werden. Es konzentrierte sich auch fast ausschließlich auf Fußball. Und schließlich schien die Studie keine nicht-binären oder transsexuellen Menschen in ihre Untersuchung der Geschlechterunterschiede einzubeziehen.
Die Forscher – Karin Boczek, Leyla Dogruelund Christian Schallhorn – sah sich fast 42.000 Sportartikel an, die während des Studienfensters veröffentlicht wurden. Sie fanden heraus, dass nur 8,2 % der Artikel von einer Frau oder einem Team von Frauen geschrieben wurden. Fast 92 % der Sportgeschichten wurden von Männern geschrieben, wobei in weniger als 0,1 % der Artikel sowohl Männer als auch Frauen in der Verfasserzeile standen.
Ähnlich waren die Zahlen, wenn die Autoren nur Artikel über Fußball (oder, wie die Deutschen es nennen, Fußball) betrachteten. Lediglich bei der Berichterstattung über den Frauenfußball gab es so etwas wie Parität, männliche und weibliche Bylines waren ungefähr gleich.
Die Autoren fanden nicht einmal heraus, dass sich die Zahlen über die Studiendauer dramatisch verbesserten. Der Anteil der von Frauen geschriebenen Sportartikel erreichte 2016 einen Tiefststand von 5 %, überstieg jedoch nie 11 % (2019), was einem 15-Jahres-Durchschnitt von etwa 8 % entspricht. Gleiches galt für Artikel speziell zum Thema Fußball. Und selbst bei Artikeln über Frauenfußball lag der höchste Anteil an weiblichen Textzeilen bei 82 %, der niedrigste bei 26 %. Insgesamt lag das über die 15-jährige Studienspanne im Durchschnitt immer noch bei etwa 50%.
Warum also sind Sportabteilungen so hartnäckig männlich? Eine Theorie besagt, dass das Publikum schuld ist – dass die Leser es vorziehen, dass ihre Sportjournalisten Männer sind. Die Studie zitiert frühere Untersuchungen, die herausfanden, dass männliche Sportjournalisten in der Vergangenheit vom Publikum als glaubwürdiger und kompetenter wahrgenommen wurden.
Die Autoren führten eine kleine Umfrage mit 635 Teilnehmern (davon 56 % Männer) durch. Den Freiwilligen wurde eine Vorschau einer Sportmeinung gezeigt. Einigen wurde das Stück mit einer weiblichen Textzeile und einem Kolumnenfoto gezeigt, einigen mit einem männlichen. Manchen wurde es als Geschichte über die deutsche Frauen-Fußballnationalmannschaft gezeigt, manche über die der Männer. Es sah ungefähr so aus:
Die Befragten wurden gebeten, ihr Interesse an der Lektüre des Artikels sowie ihre Wahrnehmung der Glaubwürdigkeit des Autors der Geschichte auf der Grundlage der bisher bereitgestellten Informationen anzugeben. Die Forscher kontrollierten Variablen wie Interesse an Fußball, Alter, Geschlecht und Bildungsniveau der Teilnehmer sowie die Affinität zu rechtsgerichteter autoritärer Politik (von der die Autoren sagten, dass sie die Einstellung zu den Geschlechtern beeinflusst).
Sie fanden heraus, dass das Geschlecht der Byline keinen signifikanten Einfluss hatte – weder auf den Wunsch eines Lesers, weiterzulesen, noch auf seine Wahrnehmung der Expertise des Autors.
Interessanterweise gab es Unterschiede, die davon abhingen Leser Geschlecht. Frauen interessierten sich seltener als Männer für eine Geschichte über Männerfußball – aber für Geschichten über Frauenfußball gab es keine geschlechtsspezifischen Unterschiede im Interesse. Frauen bewerteten im Durchschnitt die Expertise von Journalistinnen niedriger als männliche Journalisten. Männer tendierten jedoch dazu, die Expertise männlicher und weiblicher Sportjournalisten gleich einzuschätzen.
Was bedeutet das alles? Die Zuschauerwahrnehmung allein kann den historischen und anhaltenden Ausschluss von Frauen aus dem Sportjournalismus nicht erklären. Die Leser scheinen durchaus bereit zu sein, die Arbeit von Sportjournalistinnen zu lesen und zu schätzen. Die Autoren fordern gezielte Eigenkapitalinvestitionen – wie das 50:50-Projekt der BBC – zur Diversifizierung der Geschäftszweige. „Bis solche Veränderungen flächendeckend umgesetzt werden, werden Frauen im Sportjournalismus voraussichtlich weiterhin unsichtbar und benachteiligt bleiben, auch wenn sie über so viel Fachwissen und Kompetenz verfügen wie ihre männlichen Kollegen“, schreiben sie.
Sie können die vollständige Studie lesen Hier.
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