Gefahr durch Pseudoexperten: Sie simulieren Wissenschaft

Gefahr durch Pseudoexperten: Sie simulieren Wissenschaft

Angesichts von ungebrochen siebzig, achtzig oder neunzig Prozent Zustimmung in hiesigen Repräsentativumfragen zum Coronamanagement, verbietet es sich, die Stimmungsbilder, die das bösartige Geraune auf Twitter liefert, überzubewerten. Und doch lassen sich in den Attacken gegen seriöse Wissenschaftler und Politiker plötzlich Muster erkennen, die schon den Klimawandeldiskurs immer wieder in Schieflage gebracht haben. Der Ausnahmezustand wird für die ohnehin angekratzte Krisenkommunikation zur schweren Bürde.

Joachim Müller-Jung

Joachim Müller-Jung

Redakteur im Feuilleton, zuständig für das Ressort „Natur und Wissenschaft“.

Fast schon karikierend war das in den vergangenen Tagen in einem Tweet zum Ausdruck gekommen, in dem der weltweit angesehene, aber politisch auch nicht zimperliche Potsdamer Paläoklimatologe Stefan Rahmstorf mit ironischen Anführungszeichen als „Klimaforscher“ gedemütigt und abfällig zum Chef-Aktivisten erklärt wurde. Der Versuch konnte nur scheitern. Dafür hatte die Nuhr-Affäre ein Nachspiel. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft sah sich, nachdem sie den gegen Klima- und Coronaexperten gerne frotzelnden Satiriker Dieter Nuhr für ihre Videokampagne #fürdasWissen als Reaktion auf Hunderte Twitterproteste vorschnell ausgeladen und dann aus Gründen der Meinungsfreiheit wieder aufgenommen hat, den Vorwürfen frustrierter Wissenschaftler ausgesetzt, die den Shitstorm ausgelöst hatten und den Spottvogel Nuhr als Repräsentanten für die Wissenschaften als schlechten Scherz betrachteten. Ein Repräsentant zwischen Anführungszeichen sozusagen.

Gezielte Verunsicherung

Die Nervosität der Wissenschaftler muss man jedoch keineswegs als Angst vor dem Schmuddelimage interpretieren. Satire als Expertenkritik war bisher kein großes Problem. Was die Virologen, Epidemiologen und Klimaforscher vielmehr nervös werden lässt, ist die gezielte Verunsicherung der Menschen durch Wissenschaftssimulanten. Das sind Seelenfänger und Intellektuelle, oft selbst Akademiker mit Titel, die vorgeben, selbst aus dem Milieu der Wissenden zu kommen und doch lediglich über das Gerüst eines Halbwissens verfügen und sich auch nicht die Mühe machen, die mit gigantischem Aufwand generierten Evidenzen der Experten konzise einzuordnen und zu verstehen.

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Man sollte meinen, die schlechte Imitation von Fachwissen sei unter den Kommunikationsbedingungen der vernetzten Welt heute kaum noch gesellschaftsfähig. Aber da hat man sich auf Seiten der Netzavantgardisten geirrt. Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen erinnerte jüngst in einem Beitrag der „NZZ am Sonntag“ völlig zurecht: „Das Meinen und Behaupten findet unter anderen Überprüfungsbedingungen statt“. Wer Fakten verdreht, riskiert das Leben. Und doch hat in der Coronakrise etwa das Konzept, mit schnell geposteten, aber noch ungeprüften Preprints dem globalen Forschungstross Feuer zu machen, auch zu einer, wie Pörksen es schon einmal genannt hat, „Verwahrlosung und Verpöbelung des Diskurses“ geführt.

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