Bewertungen | Deutschland steht unter Schock. Seine Politiker sind auf Autopilot.
Es ist in gewisser Weise deprimierend. Aber das ist nicht sehr überraschend.
Einerseits haben die wichtigsten Parteien des Landes kam näher zum anderen über Politik seit der letzten Kampagne im Jahr 2017. Sie sind sich mittlerweile in so vielen Dingen einig – Modernisierung des Staates, Steuerung der Migration, Stärkung der Europäischen Union –, dass die Trennlinien zwischen ihnen immer weniger sichtbar werden. So sind sich alle Parteien außer der rechtsextremen Alternative für Deutschland einig, dass die deutsche Wirtschaft bis spätestens 2050 CO2-neutral sein soll. Natürlich gibt es Unterschiede in der Vorgehensweise, aber die Methoden sind zu schlecht für Kampagnen.
Zudem sind einst undenkbare Koalitionen, etwa zwischen Christdemokraten und Grünen, in vielen Bundesländern mittlerweile die Regel – und nach der Wahl im September möglicherweise die einzige Option. Die Parteien zögern natürlich, gewaltsam gegeneinander zu kämpfen. Warum einen zukünftigen Freund zum Feind machen?
Und dann sind da noch die Wähler. Obwohl sich die meisten Deutschen Sorgen um den Klimawandel machen, zögern sie, viel dagegen zu tun. Nur 59 Prozent sagen, dass sie bereit sind, „ihre Gewohnheiten und ihre Lebensweise zu ändern“. Es scheint wenig Geschrei nach kühnen Lösungen zu geben.
Gemeinsam finden wir uns hier. Anstatt über erneuerbare Energien, neue Infrastrukturen oder eine bessere Vorbereitung auf extreme Wetterereignisse (und wie man das alles bezahlen kann) zu diskutieren, sprechen die Parteien leise über die Überwindung dieser unmittelbaren Krise. Dem Wunsch der Wähler nach, all diese komplizierten Fragen auf die Schultern eines zuverlässigen Führers zu werfen, fragen sie stattdessen: Wen bevorzugen Sie – Herr Laschet, Frau Baerbock oder Herr Scholz?
Die Krise kann immer noch der einen oder anderen Partei nützen. Aber das ist nicht wirklich der Punkt. Die schrecklichen Überschwemmungen waren eine Tragödie, aber auch eine Gelegenheit, das Land von der Notwendigkeit des Wandels und der Dringlichkeit des Aufbaus einer besseren Zukunft zu überzeugen. Wir dürfen nicht auf einen anderen warten.
Anna Sauerbrey (@annakatrein) ist Redakteurin und Autorin der deutschen Tageszeitung Der Tagesspiegel.
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