Politologe Faas zu Scholz: Der Bonus-Kandidat

Politologe Faas zu Scholz: Der Bonus-Kandidat

Mit der frühen Nominierung des Kanzlerkandidaten schafft sich die SPD einen strategischen Vorteil, meint Politologe Faas im Interview. Doch die Festlegung auf Scholz birgt gleich mehrere Risiken.

tagesschau.de: Die SPD hat mit Olaf Scholz einen Kanzlerkandidaten nominiert, der vor Kurzem noch als Parteichef bei den eigenen Mitgliedern durchgefallen ist. Tut sich die Partei damit wirklich einen Gefallen?

Thorsten Faas: Ganz einfach ist das nicht, denn man darf nicht vergessen, dass ein Wahlkampf von Mitgliedern getragen wird, die das Paket aus Person und Programm später nach Draußen an die Wahlkampfstände und auch an die Haustüren tragen müssen. Die SPD und Scholz haben hier sicher noch einiges vor sich. Die SPD braucht in den kommenden Monaten genau diese Einigkeit, die sie derzeit zeigt, sonst hat sie von Anfang an ein Mobilisierungsproblem.

Zur Person

Thorsten Faas ist Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich insbesondere mit Demoskopie, Wählerverhalten und Wahlkämpfen sowie der Wechselwirkung zwischen Medien und Politik.

tagesschau.de: Existiert diese Einigkeit in der Partei tatsächlich?

Faas: Ich glaube ja, das ist schon mehr als Symbolik gerade. Die SPD versammelt sich gerade hinter ihrem “natürlichen Kandidaten”. Wer auf die letzten Umfragen schaut, sieht, dass Scholz nicht nur der beliebteste SPD-Politiker ist, den es aktuell in der Partei gibt, sondern auch der mit Abstand bekannteste Politiker, den die SPD hat. Das sollte man in diesen Tagen nicht vergessen: Bekanntheit ist keine Selbstverständlichkeit. In unsicheren Zeiten wie der Corona-Pandemie ist ein solcher Politiker ein großes Pfund. In der Mitgliedschaft ist Scholz zwar nicht unumstritten, aber bei allen anderen Kandidaten wie etwa Fraktionschef Rolf Mützenich hätte man wirklich erst massiv investieren müssen, um die Personen überhaupt bekanntzumachen.

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tagesschau.de: Scholz könnte also von der Corona-Krise profitieren?

Faas: Der Fokus und das Interesse der Medien, aber auch der Öffentlichkeit sind derzeit auf eine relativ kleine Gruppe von Spitzenpolitikern beschränkt. Das sind: Kanzlerin Angela Merkel, Gesundheitsminister Jens Spahn und daneben auch Scholz, der das Gesicht der SPD in der Regierung ist. Bei diesen Personen sehen wir eigentlich durchgehend hohe Bekanntheits- und Beliebtheitswerte. Das bedeutet, dass in Pandemie-Zeiten das Vertrauen der Deutschen in die Regierung, in die handelnden Akteure doch sehr, sehr hoch ist. Das ist eine Chance für die SPD. Denn die Kanzlerin und der Gesundheitsminister haben eben keine Spitzenkandidatur für die nächste Wahl inne. Das Risiko ist allerdings, dass niemand weiß, wie sich die Pandemie weitergestaltet und wie lange es diesen Corona-Bonus gibt.

tagesschau.de: Im Wirecard-Skandal könnte sich Scholz als Kanzlerkandidat zudem vor einem Untersuchungsausschuss wiederfinden.

Faas: Der Wirecard-Skandal ist sicherlich eine Gefahr, weil es mit dem Amt des Finanzministers ganz natürliche Berührungspunkte zu dem Fall gibt. Hinzu kommt, dass sein frühes, sehr offensives Auftreten im Bundestag jetzt natürlich die Messlatte ist, die man weiter an ihn anlegen wird. Sollte der Eindruck entstehen, dass Scholz vielleicht doch nur scheibchenweise mit der Wahrheit rausrückt, dann könnte es für ihn heikel werden. Aber derzeit sieht es nicht danach aus, dass die Wirecard-Affäre noch einmal Dynamik in dieser Richtung entfaltet.

tagesschau.de: Welche Gefahr birgt die frühe Nominierung der SPD?

Faas: Zunächst ist die Nominierung für die SPD ein Coup in dem Sinne, dass sie jetzt zumindest personell als erste Partei klar aufgestellt ist. Und das in deutlichem Gegensatz zur Union, die noch eine monatelange Kandidatensuche vor sich hat – mit allen, auch innerparteilichen Verwundungen, die damit einhergehen werden, wenn die Kandidaten versuchen, sich auch gegeneinander zu profilieren. Wenn es gelingt, die SPD wirklich geschlossen zu halten – was bei der SPD keine Selbstverständlichkeit ist, – dann ist das ein deutlicher strategischer Vorteil. Hinzu kommt: Für die Partei muss nun ein Momentum entstehen, sie braucht Dynamik. Scholz war bisher aber nicht dafür bekannt, dass er die Partei mit Energie aufladen kann.

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tagesschau.de: Das Image von Scholz lässt sich aber wahrscheinlich kaum ändern.

Faas: Das sollte man auch auf keinen Fall tun, weil die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen, das die Menschen in Deutschland ihm gerade entgegenbringen, konterkarieren würde. Jeder Versuch, das Scholz-Image plötzlich komplett zu wandeln, wäre geradezu kontraproduktiv.

tagesschau.de: Die SPD-Parteichefs haben zuletzt eine linke Koalition ins Spiel gebracht. Scholz gilt gerade bei Parteilinken als umstritten. Wie soll das gehen?

Faas: Die spannende Frage wird sein, ob der Spagat gelingt – etwa so wie 1998 mit Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine. Der SPD muss es gelingen, mit Scholz in der politischen Mitte Personen zu binden, aber mit den Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken auch nach links Strahlkraft zu entwickeln. Es ist nicht trivial, wenn man gleichzeitig in die Mitte und nach links will. Diese Spannung in überschaubarem Maß zu halten, wird die große Herausforderung der SPD sein. Auf der anderen Seite wird das Verhältnis zu den Grünen spannend werden. Einerseits braucht die SPD die Grünen, um an die Regierung zu kommen. Andererseits sind sie auch Gegner in diesem Wahlkampf. In diesem dialektischen Spannungsfeld steht die Partei. Dies wird den Strategen noch Kopfzerbrechen bereiten.

tagesschau.de: Wie wahrscheinlich ist es, dass die SPD mit Scholz aus dem Umfragetief kommt?

Faas: Das Wahljahr 2021 macht Prognosen wirklich sehr, sehr schwierig, weil wir es zum ersten Mal mit einer Situation zu tun haben, in der eine beliebte Kanzlerin, die auch die Kanzlerpartei, auch die Union, über viele Jahre zusammengehalten hat, von der politischen Bühne abgetreten sein wird. Die Karten werden neu gemischt, es lässt sich nicht einschätzen, wie sich dies – noch dazu in Zeiten einer Pandemie mit all den Unsicherheiten, die damit verbunden sind -, auswirken wird. Die Umfragen in diesen Tagen sind sehr volatil.

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tagesschau.de: Hätte es der Partei nicht mehr geholfen, wenn sie als 15-Prozent-Partei gleich auf einen Kandidaten verzichtet hätte?

Faas: Die aktuellen Umfragen geben das vielleicht nicht unmittelbar her. Wenn man sich heute anschaut, wie die Union von unter 30 auf fast 40 Prozent gestiegen ist, zeigt das, wie volatil dies Umfragen sind. Der SPD ist es 2017 durch Martin Schulz gelungen, zumindest anfänglich wirklich massiv in Umfragen zu steigen. Es wäre seltsam gewesen, wenn sich die Partei jetzt von Anfang klein gemacht und aus dem Rennen genommen hätte.

Das Interview führte Dietmar Telser, tagesschau.de


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