Kurzsichtigkeit wird aufgehalten: Mehrstärken-Linsen helfen auch Kindern

Kurzsichtigkeit wird aufgehalten: Mehrstärken-Linsen helfen auch Kindern

Normalerweise werden Mehrstärken-Linsen für Erwachsene ab 40 Jahren empfohlen. Doch auch kurzsichtige Kinder von sieben bis elf Jahren sollen davon profitieren. Das finden Forscher in einer dreijährigen Untersuchung mit fast 300 Kindern heraus.

Multifokale Kontaktlinsen könnten dazu beitragen, das Fortschreiten von Kurzsichtigkeit bei Kindern zu mindern. So lautet zumindest das Ergebnis einer Studie, über die Wissenschaftler im Fachblatt „Jama“ berichten. Das könnte vor allem deswegen wichtig sein, weil Kurzsichtigkeit nicht einfach nur lästig im Alltag ist, sondern auch ein Risikofaktor für schwere Augenerkrankungen wie Grauen Star oder auch Netzhautablösung sein kann – umso mehr, je früher sie beginnt und je stärker sie ist.

Multifokale Kontaktlinsen, auch Mehrstärken-Linsen genannt, werden eigentlich vor allem von Menschen ab 40 Jahren genutzt, die eine Altersweitsichtigkeit entwickeln und eine Alternative zur Gleitsichtbrille suchen. Die Kontaktlinsen ermöglichen scharfes Sehen in der Nähe und in der Ferne – und sind im Gegensatz zur Gleitsichtbrille unabhängig von der Blickrichtung. Mehrere Untersuchungen zeigten bereits, dass auch kurzsichtige Kinder von diesen Linsen profitieren könnten – ein Ergebnis, das nun durch die aktuelle klinische Studie der US-amerikanischen Ohio State University und der University of Houston unterstrichen wird.

Drei Gruppen, drei Ergebnisse

Für die Blink-Studie („Bifocal Lenses In Nearsighted Kids“) teilte ein Team um den Augenarzt Jeffrey Walline 287 kurzsichtige Kinder im Alter zwischen sieben und elf Jahren in drei Gruppen ein: Die eine Gruppe trug Normallinsen, die zweite multifokale weiche Linsen mit einer Stärke von plus 1,5 Dioptrien und die dritte Gruppe ebensolche Linsen mit einer Stärke von plus 2,5 Dioptrien. Über einen Zeitraum von drei Jahren sollten die Kinder die jeweiligen Linsen tagsüber so oft tragen, wie es ihnen möglich war.

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Am Ende des Studienzeitraums war die Kurzsichtigkeit (Myopie) in der Gruppe mit den starken multifokalen Linsen am wenigsten vorangeschritten: um nur 0,60 Dioptrien. In der Gruppe mit mittlerer Stärke waren es 0,89 Dioptrien und in der Gruppe mit einfachen Linsen 1,05 Dioptrien.

Linsen verhindern Wachstum der Augen

Gleichzeitig verlangsamten die starken multifokalen Linsen das Augenwachstum: Bei einer Kurzsichtigkeit ist der Augapfel zu lang. Lichtstrahlen, die ins Auge fallen, bilden dann ihren Brennpunkt nicht exakt auf der Retina, also der Netzhaut, sondern davor. In der Folge haben Betroffene eine gute Nahsicht, sehen weiter entfernte Dinge aber unscharf oder verschwommen. In der Gruppe mit den starken Kontaktlinsen wuchs der Augapfel im Untersuchungszeitraum in der Länge um 0,42 Millimeter, bei den Kindern mit den schwächeren Multifokallinsen um 0,58 Millimeter und bei denjenigen, die Normallinsen trugen, um 0,66 Millimeter.

Anders als Erwachsene hätten die Kinder mit den starken multifokalen Kontaktlinsen zudem keine Adaptionsschwierigkeiten, betont Studienleiter Jeffrey Walline: „Kinder können ihre Augen immer noch fokussieren, obwohl sie multifokale Kontaktlinsen tragen. Es ist also so, als würden sie mit normalen Kontaktlinsen ausgestattet. Sie passen sich viel einfacher an als Erwachsene.“ Eine Folgestudie solle nun klären, wie lange Multifokallinsen idealerweise getragen werden sollten und wie sich ein Absetzen auf die Myopie auswirke.

Gute gemachte Untersuchung

Für Wolf Alexander Lagrèze, Leiter der Kinderophthalmologie an der Universitäts-Augenklinik Freiburg, ist die Blink-Studie eine insgesamt „gut geplante, sorgfältig ausgeführte und gut kontrollierte“ Untersuchung. Der beobachtete Effekt von Multifokal-Linsen sei zwar nicht neu, allerdings seien die Autoren im Vergleich zu früheren Studien dreiarmig vorgegangen. „So kann eine Dosis-Wirkungs-Beziehung untersucht werden“, führt Lagrèze, der auch Mitglied der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) ist, in einer unabhängigen Einordnung aus. Und jene Wirkung sei bei den starken Multifokal-Linsen in der Studie am deutlichsten ausgeprägt gewesen.

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Laut Lagrèze bilden derartige Linsen daher eine weitere Möglichkeit zur Behandlung von fortschreitender Kurzsichtigkeit bei Kindern. Ferner würden seit einiger Zeit so genannte orthokeratologische Kontaktlinsen erfolgreich eingesetzt. Diese werden über Nacht getragen und formen das Epithel, also die oberste Zellschicht der Hornhaut um. Ihre Effektstärke sei der der multifokalen Linsen nicht unterlegen. Dafür müssten orthokeratologische Linsen aber auch jede Nacht getragen werden: „Wenn man beispielsweise wegen einer Augenreizung oder Bindehautentzündung einige Nächte aussetzen muss, ist die Kurzsichtigkeit teilweise wieder da.“

Drei wirksame Möglichkeiten

Wirksam sei auch die Behandlung mit Atropin-Tropfen. „Niedrig dosiertes Atropin stellt die wirkungsvollste Intervention dar und ist zudem unkompliziert in der Anwendung: Immer abends vor dem Schlafengehen, etwa zum Zähneputzen, geben Eltern jeweils einen Tropfen in jedes Auge der Kinder“, erklärt Lagrèze. Alle drei Möglichkeiten – multifokale Linsen, orthokeratologische Linsen oder Atropin-Tropfen – seien geeignet, um das Fortschreiten einer Myopie bei Kindern zu verlangsamen: Letztendlich hänge die Entscheidung über die spezifische Methode vor allem vom jeweiligen Kind ab, so der Augenmediziner: „Für Kontaktlinsen brauchen die Kinder eine hohe Motivation, während andere vielleicht keine Augentropfen mögen.“ Auch die Autoren der aktuellen Studie sehen multifokale Linsen als Ergänzung des bestehen Behandlungsangebots.

Lagrèze warnt allerdings davor, die von den Autoren zitierten Zahlen, denen zufolge die halbe Weltbevölkerung bis 2050 kurzsichtig sei, überzubewerten. „Solche Prognosen weit in die Zukunft sind schwierig“, erklärt er. In Europa seien die Zahlen nicht so dramatisch wie etwa im asiatischen Raum, speziell in Deutschland sei die Rate der Myopie bei Brillenverordnungen in den vergangenen 16 Jahren unter Jugendlichen konstant geblieben. Nichtsdestotrotz gebe es einen Zusammenhang zwischen Kurzsichtigkeit und vermehrter Sicht im Nahbereich etwa durch die zunehmende Nutzung von Smartphones, Tablets und Co., so Lagrèze: „Entsprechend sollte längeres Lesen in einem Abstand von weniger als 30 Zentimetern vermieden werden.“

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