Gewalt nach Präsidentenwahl: Botschafter von Belarus zu Gespräch gebeten
Der Umgang der Polizei mit den Protesten in Belarus stößt in der Bundesregierung auf Kritik. Außenminister Maas forderte mehr Druck auf Präsident Lukaschenko. Am Abend wurde der Botschafter des Landes zum Gespräch gebeten.
Angesichts der tagelangen Proteste in Belarus gegen die umstrittene Wiederwahl von Staatschef Alexander Lukaschenko ist der Botschafter des osteuropäischen Landes, Denis Sidorenko, zu einem “dringenden Gespräch” ins Auswärtige Amt gebeten worden.
Dies verlautete am Abend aus dem Außenministerium in Berlin. Zuerst hatte die “Bild” über den Vorgang berichtet. Dem Bericht zufolge wurde Sidorenko im Auswärtigen Amt die Position der Bundesregierung zur derzeitigen Lage in Belarus mitgeteilt.
Bundesregierung kritisiert “Repressionswelle”
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hatte am Mittag mehr “Druck auf die Machthaber” in Belarus gefordert. “Es ist vollkommen klar, dass das brutale Vorgehen und die Inhaftierung friedlich Demonstrierender (…) im Europa des 21. Jahrhunderts nicht akzeptabel sein wird”, sagte Maas. Auf EU-Ebene werde “intensiv über Sanktionen diskutiert”, und er hoffe auf eine gemeinsame Position der EU-Außenminister bei ihrer Konferenz am Freitag.
Die Nachbarländer und die EU suchen weiter nach angemessenen Reaktionen auf die eskalierende Lage. Litauen, Polen und Lettland boten sich als Vermittler an, mehrere EU-Mitgliedsländer sprachen sich für eine Verschärfung der Sanktionen gegen Belarus aus.
Während die Bundesregierung eine “Repressionswelle” in dem osteuropäischen Land anprangerte, verlangte Ungarn von der EU, die Brücken nach Minsk nicht abreißen zu lassen. Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko lehnt einen Dialog bislang strikt ab.
Litauen schlägt belarussischen “Nationalrat” vor
Der litauische Präsident Gitanas Nauseda präsentierte einen Vermittlungsplan, um die Gewalt beenden zu können, wie die Präsidialkanzlei des baltischen EU-Landes mitteilte. Dieser sieht unter anderem die Einrichtung eines belarussischen “Nationalrats” mit Vertretern aus Regierung und Zivilgesellschaft vor sowie ein sofortiges Ende der Polizeigewalt. Polen und Lettland würden diesen Plan sowie die Einleitung eines internationalen Vermittlungsprozesses unterstützen, hieß es.
“Die engsten Nachbarn von Belarus, einschließlich Litauen, brauchen ein stabiles, demokratisches, unabhängiges und erfolgreiches Land in ihrer Nachbarschaft”, sagte Nauseda. “Das ist unvereinbar mit den jüngsten Entwicklungen, die wir mit großer Sorge verfolgen.”
Aus der Präsidentenwahl am vergangenen Sonntag war Lukaschenko nach offiziellen Angaben mit mehr als 80 Prozent der Stimmen als klarer Sieger hervorgegangen, die Opposition spricht jedoch von Wahlbetrug. Seither protestieren täglich Tausende Menschen in Belarus gegen die politische Führung des Landes und fordern den Rücktritt Lukaschenkos, der seit 26 Jahren an der Macht ist.
Fast 7000 Menschen festgenommen
Die Polizei geht brutal gegen die Demonstranten vor, bis zum Morgen wurden nach Angaben des Innenministeriums fast 7000 Menschen festgenommen. Allein in der vergangenen Nacht habe es etwa 700 Festnahmen gegeben. Ein Mensch starb bei den Protesten, ein weiterer kam nach seiner Festnahme aus bislang ungeklärter Ursache ums Leben. Die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja, die den Wahlsieg für sich reklamiert, floh aus Angst vor Repressalien ins Exil nach Litauen.
Unklar ist, wie sich die Lage in dem Land weiter entwickelt. Ein Massenstreik in Unternehmen könnte dem wirtschaftlich angeschlagenen Land schwer schaden. Mitarbeiter des Automobilwerks BelAZ verlangten Berichten zufolge, dass die dort produzierten Fahrzeuge nicht an die Polizei geliefert werden sollten.
Fünfte Protestnacht bleibt zunächst friedlich
Auch am Abend gingen wieder Tausende Menschen im ganzen Land auf die Straße. Schwerpunkt waren das Zentrum der Hauptstadt Minsk und deren Vororte. Die Proteste blieben Berichten zufolge zunächst friedlicher als in den Nächten zuvor. Tagsüber legten Menschen in vielen wichtigen Staatsbetrieben ihre Arbeit nieder, auch zahlreiche Ärzte waren unter den Streikenden. Zudem bildeten die Bewohner Menschenketten und Tausende Frauen verteilten Blumen.
Auch einige Journalisten von Staatsmedien kündigten aus Protest ihren Job. Viele unterschrieben einen Brief an die Behörden, in dem sie eine offene und ehrliche Berichterstattung über die Ereignisse einfordern. “Dass viele unserer Kollegen heute kündigten, war nicht nur ein Fake, politisches Kalkül oder eine PR-Aktion. Es ist der Ruf des Gewissens und die Unmöglichkeit, die tatsächliche Gewalt ungerührt anzuschauen”, hieß es in dem Appell.
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