Wang Yi in Europa: Deutschlands neue China-Strategie

Wang Yi in Europa: Deutschlands neue China-Strategie

Es ist eine offene Warnung an die USA: Peking schießt zwei Mittelstreckenraketen ins Südchinesische Meer. Kurz zuvor soll ein amerikanisches Aufklärungsflugzeug in eine Flugverbotszone eingedrungen sein, in der die chinesische Armee Schießübungen abhielt. Der Vorfall zeigt, wie sehr sich der Konflikt zwischen den USA und China zugespitzt hat. Militärisches Säbelrasseln, Sanktionen, Handelsstreit – die amerikanisch-chinesischen Beziehung sind auf einem Tiefpunkt angelangt.

Just in dieser Zeit besucht der chinesische Außenminister Europa. Wang Yi reist nach Italien, in die Niederlande, Norwegen, Frankreich – und am Dienstag auch nach Deutschland. Es ist der Versuch, Europa zu umgarnen angesichts Chinas Feindschaft mit der Supermacht auf der anderen Seite des Pazifiks. Die Europäer auf die eigene Seite zu ziehen.

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„Bevor die heiße Phase des US-Wahlkampfs beginnt, kommt es für China darauf an, die Partnerschaft mit Europa zu festigen“, sagt Michael Winzer, Leiter des Peking-Büros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung. Peking gehe nicht davon aus, dass sich die amerikanische China-Politik nach der Wahl ändern werde – ganz gleich, ob US-Präsident Donald Trump wiedergewählt wird oder der Demokrat Joe Biden ihn ablöst. „Im Ton vielleicht, aber nicht in der Sache“, sagt Winzer im Gespräch mit WELT.

Dabei sah es vor Kurzem noch so aus, als würden sich die amerikanisch-chinesischen Beziehungen entspannen. Im Januar unterzeichneten beide Seiten ein Abkommen über die erste Phase zur Lösung ihres Handelskrieges. Doch der Moment der Hoffnung war kurz. Im Juli eskalierte der Streit erneut, die beiden Mächte verfügten gegenseitig die Schließung der Konsulate in Houston und Chengdu.

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Das Verhältnis zu Europa ist abgekühlt

Außenminister Wang sagte in Rom, das europäisch-chinesische Verhältnis leide unter „Sabotage durch äußere Kräfte“. Beide Seiten sollten „Störungen vertreiben“, wie die Nachrichtenagentur der Kommunistischen Partei, Xinhuanet, meldete. Wang nannte keinen Namen, aber wen er mit seinen Anspielungen meint, ist klar: die USA. Nun also ruhen die chinesischen Hoffnungen auf den Europäern.

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Doch auch das Verhältnis zu Europa, traditionell vom Bemühen um gute Handelsbeziehungen geprägt, hat sich abgekühlt in den vergangenen Monaten. Hongkong, 5G und Huawei, die Unterdrückung der Uiguren, die anfängliche Verschleierung der Corona-Krise, die Eskalation mit den USA – die Liste der konfliktreichen Themen ist lang.

So wurde der Besuch Wangs in Europa gleich am Freitag überschattet von der Nachricht, dass Chinas Küstenwache vor rund einer Woche zwölf prodemokratische Hongkonger Aktivisten bei der Flucht nach Taiwan festnahm. Zuvor hatte sich eine Reihe von Aktivisten aus Angst vor Strafverfolgung durch das neue Sicherheitsgesetz in das freiheitliche Taiwan abgesetzt. Das Gesetz, das China Ende Juni verabschiedete, zielt auf die Hongkonger Demokratiebewegung und beendet de facto das Prinzip „ein Land, zwei Systeme“.

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Auch um den Ausbau des superschnellen 5G-Mobilfunknetzes gibt es Streit. Der chinesische Huawei-Konzern, weltweit ein führender Ausrüster von Mobilfunknetzen, gilt als Hochrisikoanbieter. Die USA befürchten Spionage. Großbritannien hat Huawei deswegen bereits vom 5G-Ausbau ausgeschlossen.

Dass China das Volk der Uiguren unterdrückt, ist schon lange bekannt. Auch, dass die Volksrepublik Angehörige der muslimischen Minderheit in sogenannte Umerziehungslager in der Region Xinjiang sperrt. Eine aktuelle Recherche der Plattform „BuzzFeed News“ aber macht das Ausmaß nun auf erschreckende Weise deutlich: Die Journalisten werteten Satellitenbilder aus und fanden 260 Internierungslager, die in den vergangenen drei Jahren gebaut wurden. Manche von ihnen sind für über 10.000 Gefangene ausgelegt und ähnlich groß wie der Central Park in New York.

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Zudem versucht Brüssel seit Langem – bislang erfolglos –, China zu mehr Fairness im internationalen Handel zu bewegen. „Problematisch wird es dort, wo Länder konkurrieren, aber nicht mit den gleichen Regeln spielen“, sagt China-Experte Winzer. So ist beispielsweise der Zugang für europäische Unternehmen zum chinesischen Markt eingeschränkt. Oft entscheidet die Regierung, in welche Branchen investiert werden darf und in welche nicht. Seit 2013 verhandeln die EU und China deshalb über ein Investitionsschutzabkommen.

Bis Ende 2020 soll das Abkommen fertig werden. Für Winzer ist das Ergebnis der Verhandlungen ein Indikator, welche Strategie im Umgang mit Peking aufgeht: „Unter der deutschen Ratspräsidentschaft wird sich zeigen, welche China-Politik erfolgreicher ist – die europäische, die auf Dialog und Austausch setzt, oder die amerikanische, die die Konfrontation sucht.“

Der Moment, in dem Deutschland Farbe bekennen muss

Tatsächlich gab sich die Bundesregierung bisher vor allem deshalb so zögerlich, weil die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen China und Deutschland besonders eng sind. Die Volksrepublik ist Deutschlands wichtigster Handelspartner. Und so verließen sich Politiker wie Unternehmen auf den Grundsatz „Wandel durch Handel“. Mit einer wirtschaftlichen Öffnung werde die Demokratisierung von allein folgen, so ihre Hoffnung. Doch obwohl sich China wirtschaftlich öffnete, ist eine politische Liberalisierung bislang nicht in Sicht.

Besonders deutsche Manager bremsen, wenn es darum geht, den freiheitsfeindlichen Kurs der Regierung in Peking – sei es im Falle Hongkongs oder der Unterdrückung der Uiguren – allzu scharf zu kritisieren. Weil Deutschland so stark vom Export abhänge, müssten die eigenen moralischen Werte und Interessenlagen ganz besonders abgewogen werden, sagte etwa Siemens-Chef Joe Kaeser im vergangenen September dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

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„Wenn Arbeitsplätze in Deutschland davon abhängen, wie wir mit brisanten Themen umgehen, dann sollte man nicht die allgemeine Empörung verstärken, sondern überlegt die Positionen und Maßnahmen in allen Facetten abwägen“, so Kaeser. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die kurz vor Kaesers Äußerungen zu Besuch in Peking war, mahnte damals an, eine Lösung für Hongkong könne nur durch einen Dialog geschehen.

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Nach den wiederholten Menschenrechtsverletzungen und der Niederschlagung der Demokratiebewegung in Hongkong, die im umstrittenen Sicherheitsgesetz gipfelte, änderte sich jedoch der Ton. Ende Juli verkündete Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD), das Auslieferungsabkommen mit Hongkong auszusetzen. In der Woche zuvor hatte Maas China einen systemischen Rivalen genannt. Und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach sogar eine kaum versteckte Drohung in Richtung Peking aus: Sollte die Volksrepublik an dem Sicherheitsgesetz festhalten, „dann wird es eine nachhaltige negative Veränderung zu den europäischen, zu den westlichen Staaten geben“.

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Es scheint, als sei der Moment gekommen, in dem die deutsche Regierung Farbe bekennen muss. Einer entschlossenen europäischen China-Politik indes steht vor allem eines im Weg: ein gespaltenes Europa. EU-Staaten wie Griechenland, Ungarn und Italien erhoffen sich Milliardeninvestitionen aus China und pochen daher auf Zurückhaltung.

Zudem drängt China in die östliche Einflusssphäre der EU und investiert von Jahr zu Jahr mehr in die Länder des westlichen Balkans. Winzer mahnt: „Wo Chinas Aktivitäten europäischen Interessen zuwiderlaufen, muss die EU geschlossen reagieren.“ An dieser Geschlossenheit durfte in den vergangenen Wochen und Monaten allerdings durchaus gezweifelt werden. Und genau das spielt Peking in die Karten.

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