Verzweiflung über Lockdown 2: Israelis "am Ende ihrer Geduld"

Verzweiflung über Lockdown 2: Israelis „am Ende ihrer Geduld“

„Keine zweite Sperrung“ ist das erklärte Ziel der deutschen Politik. Israel hingegen befindet sich mitten in Lockout # 2, was Netanjahu so sehr wollte. In einem Interview mit ntv.de erklärt Steffen Hagemann, Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv, warum dies viele Menschen verärgert.

ntv.de: Sonntag ist ein normaler Arbeitstag in Israel. Aber darfst du überhaupt nicht ins Büro?

Steffen Hagemann: Nein, die derzeitige Sperrung ist teilweise noch strenger als die erste. Weil wir Tage mit 10.000 Neuinfektionen hatten. Das System war überfordert, auch weil sich die Regierung diesen Sommer nicht die Mühe gemacht hatte, Kapazitäten aufzubauen. Schulen, Kindertagesstätten, Restaurants und die meisten Geschäfte sind jetzt geschlossen. Sie dürfen Besucher nicht privat empfangen. Operationen, die nicht als absolut notwendig angesehen werden, mussten ebenfalls eingestellt werden. Ich darf mich nicht mehr als 1000 Meter von meinem Wohnort entfernt bewegen. Obwohl hier in Tel Aviv die Zahlen relativ niedrig sind.

In Deutschland heißt es in der Politik, dass eine solche allgemeine Maßnahme unbedingt vermieden werden sollte.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat das Gegenteil getan. Kürzlich gab es in Israel einen Koronaoffizier, den Direktor des Ronni Gamzu-Krankenhauses. Er wollte Corona-Ampeln für alle Städte und Regionen einführen. Wenn eine Ampel rot wird, können Sie ihr strenge Regeln auferlegen. Stattdessen gab die Regierung eine Sperre für alle heraus.

Warum setzt Netanyahu einen Experten ein und ignoriert dann sein Fachwissen?

Sein Motiv ist sehr einfach: Netanjahu will seine politischen Partner nicht verärgern. Zwei ultraorthodoxe Parteien regieren mit ihm, und in den Regionen, in denen die Zahl der Fälle extrem hoch ist, leben die ultraorthodoxen. Anfangs hatten arabische Gemeinschaften auch eine große Anzahl von Fällen.

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Nicht länger?

Die Bürgermeister erkannten die Gefahr dort und ergriffen Gegenmaßnahmen: „Halten Sie sich an die Regeln, respektieren Sie die Quarantäne, verschieben Sie die großen Hochzeitsfeiern“. Sie haben lokale Überwachungszentren eingerichtet und die Infektionsrate sinkt dramatisch. Aber nicht mit den Ultraorthodoxen.

Wie kommt man

Das religiöse Leben findet viel in der Gemeinschaft statt. In Synagogen feiern und lernen Menschen gemeinsam. Familien sind oft sehr groß und eng. Abstand zu halten ist schwierig. In einigen Fällen widersetzen sich die Menschen jedoch bewusst den Regeln. Die Religionsgemeinschaft hat Vorrang vor dem Staat. Israels Innenminister, der einer streng religiösen Partei angehört, hat regionale Sperren abgelehnt. Er sagte: alles oder nichts.

Alle Israelis müssen jetzt unter dieser Haltung leiden?

Viele. Viele Menschen, insbesondere Unternehmer, sind besorgt über die Existenz. Wenn sie irgendwelche Reserven hatten, liefen sie ihnen während der ersten Sperrung aus. Viele sind verzweifelt und haben keine Geduld mehr. Es gibt große Wut gegen Netanjahu, weil er das ganze Land aus politischen Gründen gesperrt hat, um seine Macht aufrechtzuerhalten. Übrigens, welche Teile der Regierung selbst ignorieren.

In welcher Form?

Der Umweltminister reiste kürzlich 150 Kilometer, um in einer bestimmten Synagoge zu beten. Danach testete sie positiv und log, um ihre Verletzung zu verbergen. Die Regierung malt ein schreckliches Bild.

Bisher konnte sich der Premierminister jedoch immer erfolgreich als Garant für das Wohlergehen Israels präsentieren. Hat er diesen politischen Instinkt verloren?

Netanjahu wirkt zunehmend paranoid, angetrieben von Panik. Viele denken, er kennt keine Grenzen mehr. Dies zum Beispiel verhängte er nur die Regel, nur 1000 Meter von seinem Haus entfernt zu sein, um die Demonstrationen zu vermeiden, die jeden Samstag vor seinem Haus stattfanden. Infolgedessen demonstrierten Menschen an der Kreuzung vor ihren eigenen Häusern. 100.000 im ganzen Land. Teile der Bevölkerung sehen die Demokratie von Netanjahu bedroht.

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Auch der Zusammenhalt der Gesellschaft?

In früheren Krisen konnte Israel trotz aller Unterschiede immer auf seine Solidarität zählen. Heute beklagen sich viele, dass sie diese Solidarität nicht mehr spüren. Ultraorthodoxe sagen: „Wir sollen sperren, aber Tel Aviv will weiterhin auf Partys und Demonstrationen gehen.“ Jeder beschuldigt sich gegenseitig, und da sich die Regierung seit Jahren auf Spaltung und Polarisierung konzentriert, gibt es nichts zu tun. Das Vertrauen in politische Akteure und ihre Handlungen wurde zerstört.

Frauke Niemeyer sprach mit Steffen Hagemann

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