Pandemie: Donald Trump entdeckt den Ernst des Coronavirus

Pandemie: Donald Trump entdeckt den Ernst des Coronavirus

Für alle, die meinen, ihren Ohren nicht zu trauen, hat Donald Trump ein Beweisstück dabei. Eine Maske. Schwarz, mit dem Präsidenten-Siegel. „Ich habe die Maske hier“, sagt Trump und nestelt sie aus seiner rechten Hosentasche, zeigt sie kurz. Nicht demonstrativ, sondern eher zögerlich, erst recht für seine Verhältnisse. Aber immerhin.

Weißes Haus, James S. Brady Briefing Room, früher Dienstagabend. Soeben hat Trump sein erstes Corona-Briefing seit April begonnen. Es unterscheidet sich erheblich von den täglichen Auftritten im Frühling. Trump ist alleine gekommen, kein Mike Pence ist zugegen, beide Gesundheitsberater Anthony Fauci und Deborah Birx fehlen. Trump liest weitgehend ab, beantwortet nur wenige Fragen. Die ganze Sache dauert gerade einmal 26 Minuten, nicht die drei- oder vierfache Zeit wie vor Monaten.

Vor allem aber hat der Präsident ein paar Botschaften dabei, die man so noch nicht von ihm gehört hat. Trump fordert die Amerikaner dazu auf, Masken zu tragen – über vier Monate nach den ersten registrierten Corona-Fällen in den USA und gut drei Monate vor der Präsidentschaftswahl. „Ob Sie die Maske mögen oder nicht, sie hat eine Wirkung“, sagt der Mann, der noch neulich seinen Herausforderer Joe Biden verspottet hat, der sehe mit Maske so aus, als habe er sich „einen Rucksack über den Kopf gestülpt“. Nun verkneift sich Trump Scherze, ist um Ernsthaftigkeit bemüht.

Warum Trump nun doch Mundschutz trägt

US-Präsident Donald Trump hat sich lange gegen das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes gewehrt. Doch nun hat er für Masken in bestimmten Situationen geworben. Auch seine Corona-Briefings will er wieder aufnehmen.

„Ich habe keine Probleme mit der Maske“, sagt er. Warum aber trug er dann am Vorabend bei einem Spenden-Event im Trump Hotel Washington keine Maske? Da habe er ziemlich weit weg von anderen Menschen gestanden. Er trage die Maske, wenn es „angemessen“ sei, sagt Trump, etwa im Aufzug.

Stunden vor seinem maskenlosen Auftritt im Trump Hotel hatte der Präsident ein Foto von sich mit Maske getwittert, mit dem Hinweis: „Viele Menschen sagen, es sei patriotisch, eine Gesichtsmaske zu tragen.“ Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis Trump beanspruchen wird, er habe schon immer für das Maskentragen geworben (oder einst die Maske selbst erfunden).

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Ein Meister widersprüchlicher Botschaften

Trump ist ein Meister widersprüchlicher Botschaften, und hier bleibt er sich treu. „Soziale Distanz“ empfiehlt Trump am Dienstag ebenfalls. Jungen Leuten rät der Präsident gar, überfüllte Bars zu meiden. „Be safe and smart“, sagt Trump. Nähme er diese Botschaft ernst, so wäre dies das Ende seiner Kundgebungen.

Mit denen hatte er zuletzt ohnehin wenig Glück. Trumps Versuch im Juni, seine Wahlkampfauftritte vor Massenpublikum wieder wie in Vor-Corona-Zeiten aufzunehmen, endete als Rohrkrepierer. In Tulsa, Oklahoma, musste der Präsident eine Veranstaltung mangels Zuschauerinteresse absagen, bei der anderen redete er vor nur 6200 Zuhörern und weitgehend leeren Rängen. Das Motto „The Great American Comeback“ geriet mithin eine Spur zu optimistisch.

Viele leere Sitze: Zu Trumps Auftritt in Tulsa, Oklahoma, kamen nur 6200 Menschen

Viele leere Sitze: Zu Trumps Auftritt in Tulsa, Oklahoma, kamen nur 6200 Menschen

Quelle: AFP/NICHOLAS KAMM

Trump war erzürnt über die Pleite, zumal seine Kampagne zuvor über das Interesse Hunderttausender geprotzt hatte. „Tulsa“ könnte sich als Wendepunkt seiner Präsidentschaft erweisen. Das rätselhafte langjährige Image Trumps, wonach ihm am Ende alles gelinge, ist seither dahin.

Ein weiterer Versuch, die Kundgebungen wieder aufzunehmen, scheiterte ebenfalls. Am 11. Juli wollte er in einem Flugzeug-Hangar in Portsmouth, New Hampshire, reden. Angeblich wegen schlechten Wetters wurde die „Rally“ abgesagt. In Wahrheit war der Grund für die kurzfristige Absage die Sorge vor abermals schwachen Besucherzahlen. Das Wetter an jenem Samstagabend in Portsmouth soll jedenfalls angenehm gewesen sein.

Gescheiterte Strategie

Gut hundert Tage vor der Wahl gesteht Trump mit seinem Auftritt am Dienstag seine bisherige Strategie, das Corona-Virus und seine Auswirkungen konsequent kleinzureden, als gescheitert ein – auch wenn er das natürlich nicht sagt. Der auf Umfragen fixierte Präsident hat offenbar zur Kenntnis genommen, dass Corona die Amerikaner bewegt wie kein anderes Thema. Viele Menschen haben schlicht Angst. Eine Mehrheit der Bürger von 54 Prozent ist unzufrieden mit Trumps Arbeit, wie der Fernsehsender Fox News ermittelt hat.

Die monatelange Masche, bei jedem Thema kraftstrotzenden Optimismus zu zeigen, gibt Trump am Dienstag teilweise auf. „Es wird wahrscheinlich schlimmer werden, bevor es besser wird“, sagt der Präsident. „Besorgniserregend“ nennt er die Lage vor allem im Süden und Westen des Landes. Betroffen sind derzeit vor allem die Bundesstaaten Florida, Georgia, Texas, Arizona und Kalifornien. Die Ausrede, nur demokratisch regierte Staaten seien vom Virus betroffen, trägt nicht mehr. Erst nach und nach setzt sich in der Republikanischen Partei die Erkenntnis durch, Masken könnten sinnvoll sein.

Inzwischen sind über 140.000 Amerikaner dem Virus erlegen. Mehr als 3,8 Millionen Infektionen sind registriert. Trumps einstige Prognose, wonach es nicht mehr als 100.000 Tote geben werde, hat sich, wie so oft, als (Zweck-)Optimismus erwiesen. Erst recht gilt das für seine Schätzung von Ende April, es sei mit 60.000 bis 70.000 Todesopfern in seinem Land zu rechnen. Seitdem die Infektionszahlen wieder rasant steigen, wird die – von Trump verlangte – Öffnungspolitik in vielen Bundesstaaten wieder zurückgefahren.

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Doch Trump versucht gleichwohl, die brutalen Auswirkungen des Virus zu relativieren. Durchschnittlich 78 Jahre alt seien die Todesopfer, die Hälfte von ihnen in Alten- und Pflegeheimen lebend. Die Sterblichkeitsrate in den USA sei „geringer als in der EU“, sagt Trump, und deutet auf eine Balken-Grafik, auf der die USA weit unter Frankreich, Großbritannien, Belgien und Italien rangieren.

Dass das Virus in der EU und Teilen Asiens inzwischen weit weniger tobt als in den USA, lässt Trump unerwähnt. „Die ganze Welt leidet“, sagt er. So versucht er, das miserable Management im reichsten Land der Erde kleinzureden. Das Virus werde verschwinden, „sehr bald“ werde es eine Impfung und eine Therapie geben. Man hat das schon oft gehört.

Beim Testen „führen wir die Welt an“, sagt Trump, auf die absoluten Testzahlen in den USA verweisend. In diversen Bundesstaaten mangelt es derweil an Tests. Im Großraum Washington warten Menschen zuweilen 14 Tage auf die Test-Ergebnisse. Von einer Tracing-App ist bis heute keine Rede, während die Bestellung von Kaffee und Pizza per Smartphone in den USA gang und gäbe ist.

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Miserable Umfragewerte

Und dann stiftet der Präsident am Dienstag noch richtig Verwirrung: Es ist erst ein paar Stunden her, als seine Sprecherin verkündet hat, Trump werde „mehrfach“ am Tag auf Corona getestet. Ob das stimme, will ein Reporter wissen. Er könne sich an keinen Tag erinnern, an dem er mehrfach getestet worden sei, antwortet Trump. Er werde alle paar Tage getestet.

Fehler gesteht Trump nicht ein, beschuldigt vielmehr abermals China und die Vorgänger-Regierung. Ein Satz aber ist aufschlussreich. Selbst Trump sagt nicht, seine Administration habe alles richtig gemacht. Er sagt stattdessen: „Wir haben viele Dinge richtig gemacht.“

Mit seinem Auftritt am Dienstag reagiert Trump auf seine miserablen Umfragewerte. In allen bundesweiten Erhebungen liegt er hinter seinem Herausforderer Biden.

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Joseph Robinette Biden, 77

Der Demokrat, der im August offiziell zum Kandidaten nominiert werden soll, führt den Demoskopen zufolge ebenfalls in allen wichtigen Schlüsselstaaten. Auf Dauer werden Trumps beinharte Anhänger die miesen Umfragewerte mit dem Hinweis, viele Trump-Wähler gäben Meinungsforschern gegenüber ihre Wahl-Präferenz nicht zu, kaum schönreden können.

Hoffen auf die Wirtschaft

Wirtschaftlich setzt Trump auf ein „sehr starkes drittes Quartal“ und ein „sehr gutes viertes Quartal“. Dieser Optimismus widerspricht düsteren Bestandsaufnahmen in den Unternehmen. Der Vorstandsvorsitzende der Fluggesellschaft Delta sagte der „New York Times“, die Furcht, die das Virus im Süden hervorgerufen habe, „hat die Menschen mehr als zuvor in eine Zu-Hause-bleiben-Mentalität versetzt“. Der Vorstandschef der Hotelkette Marriott sagte: „Ich bin heute weniger optimistisch als vor 30 Tagen.“

Groß ist daher die Versuchung der Republikaner, einen weiteren Geldsegen unter das Volk zu streuen. Während die Demokraten im Mai ein weiteres Drei-Billionen-Dollar-Konjunkturpaket verabschiedet hatten, haben die Republikaner schon einer Billion Dollar an neuen Schulden zugestimmt. Es dürfte kaum bei dieser Summe bleiben.

Während Trumps Partei traditionell gegen „big government“ kämpfte, steht sie nun für eine Staatsverschuldung, wie sie Amerika lange nicht erlebt hat. Trump beschwor gute Gespräche mit den Demokraten, die er dazu braucht. Man handele als „eine Familie“. Während des gesamten 26-Minuten-Auftritts verzichtete Trump auf Kritik an den Demokraten. Nicht ein einziges Mal spottete er über seinen Herausforderer.

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