CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer: Wann muss er gehen?

CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer: Wann muss er gehen?

Wenn Verkehrsminister Andreas Scheuer auffällt, dann mit gescheiterten Projekten. Die Opposition fordert seinen Rücktritt, auch sein Rückhalt in der Union bröckelt. Muss er bald gehen?

In diesen Tagen greift Verkehrsminister Andreas Scheuer schon mal selbst zum Telefonhörer, um sich im Radio zu verteidigen: Am letzten Dienstag um kurz nach 12 Uhr wird im Bayerischen Rundfunk gerade diskutiert, ob Scheuer noch der richtige Mann für sein Amt ist. Unter anderem, weil ihm kürzlich ein grober Fehler bei der Reform der Straßenverkehrsordnung unterlief. Plötzlich erklärt die Moderatorin verdutzt, jetzt sei ja offenbar „Andreas Scheuer in der Leitung“.

Tatsächlich, Scheuer ruft an, und Scheuer ist sauer. Ja, da sei eben ein „Formfehler“ passiert bei der Straßenverkehrsordnung, erklärt er kurz angebunden.

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Dann holt der Verkehrsminister Luft und geht auf die Moderatorin los: „Wenn ich mir das erlauben darf, wäre es ganz schön, wenn ihr auch über die schönen und guten und innovativen Sachen, die wir anstoßen im Ministerium, berichtet.“ Die Moderatorin antwortet, die diversen Skandale würden das überlagern. Ob er eigentlich Sorge um seinen Job habe? Scheuer sagt, man müsse ja „das große Ganze“ sehen, er habe beim Glasfaserausbau und bei den Mobilfunkmasten mehrere „Projekte gestartet“ – mit Markus Söder schaue man, „dass das vorwärts geht.“

Söder: „Es muss aufgearbeitet werden“

Dass es vorwärts geht, ist wichtig für Andreas Scheuer. Der Verkehrsminister steht extrem unter Druck, er braucht dringend Erfolge – bislang häufen sich vor allem die Fehltritte. Die Novelle der Straßenverkehrsordnung, die eigentlich härtere Strafen gegen Raser vorsah, und die Scheuer wegen eines Fehlers im Gesetz zurücknehmen musste, ist nur eine der letzten Pannen. 

Selbst sein eigener Parteichef Markus Söder verteidigte den CSU-Mann zuletzt nur noch sehr zögerlich: „Das ist sehr, sehr ärgerlich, und es muss auch aufgearbeitet werden“, sagte Söder im ZDF. Ein offener Tadel. 

Aufzuklären gibt es einiges: Außer der verkorksten Novelle waren von Scheuer mitbestellte Masken in der Corona-Krise von minderer Qualität, der digitale Ausbau in Deutschland geht noch immer schleppend voran, das Mobilfunknetz hat Löcher. Nicht nur die Grünen werfen ihm vor, für Verkehrswende und Klimaschutz viel zu wenig zu tun. All das lässt das Bild eines Ministers entstehen, der ein größeres Händchen für Fehlschläge als für Erfolge hat. Sein Rückhalt in der Koalition schwindet. In diesem Sommer ist die Summe von Verfehlungen so stark angewachsen, dass in der Union schon Wetten abgeschlossen werden, wie lange der Verkehrsminister sich noch halten kann.

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Das Vorhaben, das sein Ende als Minister auslösen könnte

Nach der Söder-Kritik wurde in dieser Woche dann direkt der nächste missglückte Vorstoß von Scheuer bekannt: eine europaweite Maut. Das Umweltministerium wies den Vorschlag brüsk zurück, mit dem Koalitionspartner SPD war nichts abgestimmt. Die Häme folgte prompt. Ausgerechnet Scheuer, ausgerechnet wieder ein Maut-Vorstoß.

Die spektakulär gescheiterte, deutschlandweite Pkw-Maut ist sein größter Skandal. Es ist das Projekt, das bald sein Ende als Verkehrsminister auslösen könnte. Die Maut brachte ihm einen Untersuchungsausschuss ein, das schärfste Instrument des Bundestages, um das Handeln des politischen Spitzenpersonals zu sezieren. Im Herbst wird es dort endgültig ungemütlich für Scheuer.

Die Idee einer Maut ist schon alt: Sie ist ein Projekt, das sich der damalige CSU-Chef Horst Seehofer ausgedacht hat. Das war im Wahlkampf 2013 – es sollte ein Zugpferd werden. Nach der Wahl wurde Alexander Dobrindt von Seehofer zum Verkehrsminister ernannt. Er sollte das Prestigeprojekt vorantreiben.

Scheuer erbte das Prestigeprojekt

In den folgenden Jahren setzte sich Dobrindt mit Vehemenz für die Maut ein, gegen alle Widerstände beim Koalitionspartner. Das CSU-Anliegen, das auch als „Ausländermaut“ angepriesen wurde, sollte endlich eingeführt werden. Doch dann, kurz bevor die Maut kommen sollte, wurde Dobrindt zum CSU-Landesgruppenvorsitzenden gewählt. Scheuer wurde Verkehrsminister, erbte das Vorhaben – und scheiterte damit wenig später krachend.

Der Wille, das Projekt nach Jahren der Planung endlich abzuschließen, dürfte einer der Gründe für das Debakel sein. Ende 2018 schloss Scheuer die Verträge mit den Firmen, die das Mautsystem in Deutschland aufbauen sollten: Kapsch TrafficCom und CTS Eventim. Auf den Europäischen Gerichtshof, der die Rechtsmäßigkeit des Vorhabens prüfte, wollte Scheuer nicht warten. Das verheerende Urteil fiel ein halbes Jahr später, im Juni 2019: Weil die Maut nur Ausländer belasten sollte, ist sie mit EU-Recht nicht vereinbar. Die „Ausländermaut“ war damit vom Tisch, Scheuer war blamiert.

Der Parteichef und sein strauchelnder Minister: Markus Söder spricht mit Andreas Scheuer vor einer Gruppe von Journalisten. (Quelle: imago images)Der Parteichef und sein strauchelnder Minister: Markus Söder spricht mit Andreas Scheuer vor einer Gruppe von Journalisten. (Quelle: imago images)

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Mehr als 72 Millionen Euro kostete das Projekt den Steuerzahler laut Ministerium bislang. Die deutlich höhere Rechnung könnte noch folgen. Denn nach dem Urteil kündigte Scheuer den Maut-Betreibern, die fordern seitdem 560 Millionen Euro Schadensersatz vom Bund. Der Rechtsstreit läuft noch.

Die Akten mit Details zum Maut-Debakel füllen inzwischen mehr als eine Million Blatt Papier. Herr über die Ordner ist Udo Schiefner, ein ruhiger, bedächtiger Sozialdemokrat. Er sitzt dem Untersuchungsausschuss zur Maut vor. Seit Anfang des Jahres arbeitet der Bundestag dort die entscheidenden Fragen auf, „sachlich und gewissenhaft“, wie Schiefner betont. Es geht um Recht und Rechthaben. Wurde Europarecht gebrochen? Wurde Vergabe- und Haushaltsrecht gebrochen? Und vor allem: Hat Andreas Scheuer das deutsche Parlament belogen?

Schiefner sagt: „Ein entscheidender Punkt ist: Haben die Maut-Betreiber Kapsch und Eventim dem Minister angeboten, den Vertrag erst nach dem EuGH-Urteil zu unterschreiben?“ Diese Möglichkeit steht im Raum. Das Maut-Debakel wäre dann wohl gar kein Debakel geworden.

„Ein Mann, der besonders schnell aus der Hüfte schießt“

Die Opposition übt schon jetzt vernichtende Kritik. „Bei Andreas Scheuer fällt einem gar nichts mehr Positives ein“, sagt der Grünen-Fraktionsvizechef Oliver Krischer im Gespräch mit t-online.de. „Er ist als Verkehrsminister ein Totalausfall. Für die dringend nötige Verkehrswende und den Klimaschutz tut er gar nichts.“ Es sei ein Skandal, dass Scheuer noch im Amt ist: „Er hätte längst zurücktreten müssen.“

Oliver Luksic, der verkehrspolitische Sprecher der FDP, sagt zu t-online.de: „Scheuer ist ein Mann, der gerne besonders schnell aus der Hüfte schießt. Solch einen Aktionismus darf man sich als Bundesminister nicht erlauben.“ Wenn sich herausstelle, dass Scheuer „Öffentlichkeit und Parlament belogen hat, was den Inhalt der geheimen Gespräche mit den Maut-Betreibern angeht, muss Söder ihn auswechseln.“


Linken-Chef Bernd Riexinger sagt t-online.de, schon die Vergabe der Maut-Verträge hätte „Herrn Scheuer mindestens das Amt kosten müssen“. Und fügt hinzu: „So lange die Maut-Affäre nicht gründlich aufgeklärt ist, gehört Herr Scheuer nicht mehr an die Spitze eines Ministeriums.“

Die Probleme häufen sich, heißt es aus der SPD

Selbst in den Regierungsparteien hat es Scheuer inzwischen schwer. In der CDU schütteln viele den Kopf, der Ton wird langsam schärfer. Scheuer wird nur noch vorsichtig verteidigt. Der CDU-Abgeordnete Klaus-Peter Willsch, der im Vorstand des mächtigen „Parlamentskreis Mittelstand“ sitzt, sagt zu t-online.de: „Der Untersuchungsausschuss zur Vergabe der Maut wird jetzt seine Arbeit machen – und Scheuer wird hoffentlich jedes Misstrauen ausräumen können.“ Echtes Vertrauen hört sich anders an.

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Hinter vorgehaltener Hand lästern etliche Kollegen aus der großen Koalition: Der Verkehrsminister sei zu einer Belastung geworden. Scheuer sei kein Teamplayer, sagt jemand, obwohl der Minister immer das Gegenteil behaupte. Der große Auftritt sei ihm wichtiger als die Detailarbeit. „Andreas Scheuer erlebt nicht gerade die glücklichsten Jahre als Minister“, sagt einer aus der SPD. „Die Probleme häufen sich.“

Seine neuesten Vorstöße und Pannen stoßen dem Koalitionspartner bitter auf. Mit der gescheiterten Reform der Straßenverkehrsordnung torpediere Scheuer das Ziel, die Zahl der Verkehrstoten zu senken, sagt SPD-Verkehrspolitikerin Kirsten Lühmann zu t-online.de. „Es scheint mir so, als wolle Scheuer mit der EU-Maut von anderen Themen ablenken.“ SPD-Politiker Udo Schiefner sagt: „Die Zukunft Andreas Scheuers hängt von den weiteren Erkenntnissen im Untersuchungsausschuss ab.“

Was macht der Parteichef?  

Der 1. Oktober 2020 könnte für Andreas Scheuer zum Schicksalstag werden. Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses zur Maut werden sich dann gegen Mittag im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus des Bundestages versammeln. Am bisher wichtigsten Tag der Aufarbeitung des Debakels steht eine Marathonsitzung für die Ausschussmitglieder aus Regierungskoalition und Opposition an.

Erst werden die Verantwortlichen der gekündigten Maut-Betreiber Kapsch und Eventim als Zeugen gehört. Dann, am Abend, wird der Minister selbst Stellung nehmen zu den Vorwürfen gegen ihn und sein Haus. Bis in die Nacht hinein wird er unangenehme Fragen beantworten müssen. „Das wird eine entscheidende Vernehmung“, sagt SPD-Verkehrspolitikerin Lühmann. Und sie fügt hinzu: „Je nachdem, wie umfassend die Maut-Betreiber aussagen, könnte es schwierig für den Minister werden.“

Doch selbst wenn die Maut-Betreiber das nicht tun, wenn sie vorsichtig sind, weil ihr 560-Millionen-Euro-Rechtsstreit mit dem Bund noch läuft, könnte es für Scheuer am Ende des Jahres ungemütlich werden. Denn sein Parteichef heißt Markus Söder. Und der könnte sich entscheiden, dass er Kanzlerkandidat der Union werden will. Im Wahlkampf könnte Söder einen Pannenminister so gut gebrauchen wie einen Achsenbruch bei voller Fahrt.

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