Belarus: Lukaschenko schickt Staatsbedienstete auf die Straße
Angesichts neuer Massenproteste organisiert der belarussische Staatsapparat an diesem Sonntag erstmals Unterstützungskundgebungen für den amtierenden Präsidenten Alexander Lukaschenko. Medien berichteten, dass aus vielen Teilen des Landes Staatsbedienstete gedrängt würden, in der Hauptstadt Minsk an den Demonstrationen für Lukaschenko teilzunehmen. Die Kundgebung soll ein anderes Bild vermitteln als die landesweiten Proteste empörter Bürger, die nicht an einen Wahlsieg Lukaschenkos glauben. Als Reaktion auf den Protestaufruf drohten Journalisten des Staatsfernsehens mit Streik.
Der seit 26 Jahren mit harter Hand regierende Lukaschenko hatte sich bei seiner inzwischen sechsten Wahl mit gut 80 Prozent der Stimmen zum Sieger erklären lassen. Seine Gegner, die im ganzen Land demonstrieren, fragen seit Tagen, wo diese 80 Prozent seien und warum niemand für Lukaschenko auf die Straße gehe.
Die Opposition wiederum erwartet am Sonntag Zehntausende Menschen allein im Zentrum der Hauptstadt. Auch in anderen Städten sind den achten Tag in Folge neue Aktionen geplant.
Gegen Mittag wird in der Stadt Gomel ein zweites Todesopfer zu Grabe getragen. Die Mutter des 25-Jährigen macht die Sicherheitskräfte für den Tod ihres Sohnes verantwortlich. Der junge Mann, der eine Herzkrankheit gehabt habe, sei am Wahlsonntag willkürlich festgenommen worden und in Polizeigewahrsam gestorben. Die Polizei bestätigte dies erst am Mittwoch und teilte mit, dass die Gerichtsmedizin die Todesursache klären müsse.
Botschafter solidarisiert sich mit Oppositionskandidatin
Der als “letzter Diktator Europas” kritisierte Lukaschenko zeigt sich bisher weitgehend unbeeindruckt von den Protesten. Er lehnt einen Dialog mit der Opposition oder eine Vermittlung aus dem Ausland ab. Den Sieg bei der Wahl beansprucht die 37-jährige Swetlana Tichanowskaja für sich. Ihre Unterstützer fordern einen Rücktritt Lukaschenkos sowie die Freilassung aller Gefangenen und Neuwahlen.
Am Sonntag schlug sich laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters auch der belarussische Botschafter in der Slowakei, Igor Leschenja, auf die Seite der parteilosen Oppositionskandidatin. In einem YouTube-Video spricht er davon, dass er die friedlichen Proteste in seiner Heimat unterstützt: “Wie alle Belrussen bin ich schockiert über die Geschichten von Folter und Prügel meiner Bürger.”
Der 65-jährige Lukaschenko stellt die Demonstranten als vom Ausland manipuliert und bezahlt dar. Er bezeichnete sie mehrfach als Menschen mit krimineller Vergangenheit, Drogenkonsumenten und Arbeitslose. Danach gingen auch Arbeitskollektive in vielen Staatsbetrieben in den Streik.
Lukaschenko spricht immer wieder auch von einer Gefahr aus dem Ausland, ohne Details zu nennen. Zuletzt hatte er Kremlchef Wladimir Putin in einem Telefonat um Hilfe gebeten und diese angeblich auch versprochen bekommen. Staatsmedien korrigierten am Samstagabend jedoch Darstellungen, wonach Russland militärisch einschreiten könnte. In einer Mitteilung des Kremls war keine Rede von irgendeiner Hilfe in der jetzigen Situation.
Russische Militärintervention unwahrscheinlich
Der belarussische Analyst Artjom Schraibman hält eine russische Militärintervention zur Unterstützung Lukaschenkos für äußerst unwahrscheinlich. “Russland rettet keine stürzenden Regimes mit Streitkräften”, teilte er mit. Möglich sei, dass ein Präsident herausgeholt werde aus dem Land. “Aber ein Regime retten, das keine Basis an Unterstützern mehr hat – nein.” Schraibman meinte auch, Russland sei schon jetzt wegen des Ukrainekonflikts mit Sanktionen belegt und habe kein Interesse an einer weiteren Eskalation auf internationaler Bühne.
Ebenfalls am Samstagabend ordnete Lukaschenko die Verlegung von Fallschirmjägern nach Grodno im Westen des Landes an. In der Region sei die Lage angespannt, sagte er bei einer vom Staatsfernsehen übertragenen Sitzung des Generalstabs. Lukaschenko wies zudem das Verteidigungs- und das Innenministerium sowie den Geheimdienst KGB an, keine “ungesetzlichen Aktionen” im Land zuzulassen. Konkret planten seine Gegner eine Menschenkette vom EU-Land Litauen durch Belarus in die Ukraine. Diese Solidaritätsaktion für die Proteste will der Staatsapparat verhindern.
Wegen der anhaltenden Polizeigewalt hatte die Europäische Union am Freitag neue Sanktionen gegen Unterstützer Lukaschenkos auf den Weg gebracht. Es soll auch Strafmaßnahmen gegen Personen geben, die für eine Fälschung der Präsidentenwahl verantwortlich gemacht werden.
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