Schilder an einer Einkaufspassage in Düsseldorf weisen auf Verhaltensregeln während der Corona-Krise hin (dpa-Bildfunk / Marius Becker)

19 – Welche Rolle Aerosole bei der Übertragung des Coronavirus spielen

Das neue Coronavirus wird unter anderem über die Tröpfcheninfektion verbreitet – da ist sich die Wissenschaft einig. Inzwischen sind aber auch die sogenannten Aerosol-Partikel, kleine Schwebeteile in der Luft, stärker in den Fokus gerückt – insbesondere seit den Corona-Ausbrüchen in Schlachthöfen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen.

Was sind Aerosole?

Aerosole sind feine Partikel, die anders als die beim Husten oder Niesen ausgestoßenen Tröpfchen, nicht schnell zu Boden sinken, sondern länger in der Luft schweben – teilweise Minuten oder sogar Stunden. Also kann jemand, der nach einem Infizierten einen nicht gelüfteten Raum betritt, sich anstecken. Bei einigen Krankheiten ist bekannt, dass sie zum Teil auf diesem Weg übertragen werden, zum Beispiel Tuberkulose. Ein direkter Kontakt zu einem Infizierten ist also nicht notwendig, um sich anzustecken.

Welche Erkenntnisse gibt es dabei in Bezug auf das Coronavirus?

Die Weltgesundheitsorganisation sieht zunehmende Indizien dafür, dass sich das neuartige Coronavirus auch über mehrere Meter hinweg in der Luft übertragen kann. WHO-Expertin Benedetta Allegranzi spricht von möglichen Beweisen für diese These. Sie forderte die Mitgliedstaaten auf, „offen“ für diese Erkenntnisse zu sein – und für „die Vorsichtsmaßnahmen, die getroffen werden müssen“.

Eine Gruppe aus 239 internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hatte angesichts der weltweiten Lockerungen bei den Corona-Einschränkungen Alarm geschlagen und auf Studien verwiesen, wonach sich das Coronavirus auch über einen Abstand von mehr als zwei Metern in der Luft übertragen kann. In einem in der Fachzeitschrift „Clinical Infectious Diseases“ veröffentlichten Artikel PDF warnen diese Expertinnen und Experten davor, dass sich das Virus über „kleine bis mittlere Distanzen“ in der Luft übertragen könne. Diese Distanzen reichten von „mehreren Metern bis zur Größe eines Raums“. Zwar seien häufiges Händewaschen und Abstandsregeln „angemessene“ Maßnahmen, führen sie aus. Zugleich seien diese aber unzureichend, um ausreichenden Schutz vor Mikrotröpfchen zu gewährleisten, die als Aerosole in der Luft schweben und das Virus in sich tragen können.

Das Robert Koch-Institut bezeichnet die „respiratorische Aufnahme von virushaltigen Flüssigkeitspartikeln“ als Hauptübertragungsweg für SARS-CoV-2. Dabei kann es sich um größere Partikel, also um sogenannte Tröpfchen handeln, die zum Beispiel beim Husten oder beim Niesen entstehen; oder um kleinere Partikel, also Aerosole. Sie entstehen schon beim Atmen und beim Sprechen, insbesondere aber beim Schreien und Singen. Laut RKI kann der längere Aufenthalt in kleinen oder schlecht belüfteten Räumen eine Übertragung durch Aerosole auch über eine Distanz von zwei Metern hinaus erhöhen. Besonders dann, wenn eine mit dem Virus infizierte Person besonders viele Partikel ausstößt und weitere anwesende Personen besonders tief einatmen. Als Beispiele [nennt das RKI|https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html#doc13776792bodyText1] das gemeinsame Singen in einem geschlossenen Raum oder Fitnesskurse.

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Auch im Zusammenhang mit den Corona-Ausbrüchen in Schlachtbetrieben in NRW und Niedersachsen ist der Übertragungsweg über Aerosole nochmal stärker in den Fokus gerückt. Martin Exner, Direktor des Instituts für Hygiene und öffentliche Gesundheit an der Uniklinik Bonn, hat die Bedingungen im Schlachtbetrieb von Tönnies untersucht. Dabei hat er die Raumkühlung mit Umluft als Hauptrisikofaktor für die Verbreitung des Virus ausgemacht. Der Ausbruch bei Tönnies zeige, dass Aerosole unter spezifischen Bedingungen relevant für das Infektionsgeschehen seien, sagte er in der Sendung „Forschung aktuell“ im Deutschlandfunk. Entscheidend sei dabei, wie die Luft aufbereitet werde und wie modern die Belüftungssysteme seien. Eine Diskussion, die laut Exner zukünftig auch für Büroräume oder Diskotheken geführt werden muss.

Der Schweizer Virologe Hugo Sax sagte dem Sender SRF Anfang Mai, aus epidemiologischer Sicht spielten Aerosole keine wesentliche Rolle bei der Übertragung des Virus. Sonst würde es viel mehr Fälle geben. Dagegen schätzte der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité die Lage anders ein. Er sagte im Deutschlandfunk, es mehre sich der Eindruck, dass es zusätzlich zur Tröpfcheninfektion auch eine deutliche Komponente von Aerosolinfektionen gebe. Er verwies auf technische Messungen und Untersuchungen von einzelnen Ausbrüchen, die durch Aerosolausscheidungen ausgelöst worden sein müssten.

Wie gefährlich sind Flugreisen?

Im Hinblick auf Flugreisen besteht zumindest aus Sicht der Flugzeugbauer und Airlines für Passagiere kein Risiko. So betont Airbus, dass ein komplexes und geschlossenes Belüftungssystem für eine sehr saubere Luft und ein geringes Infektionsrisiko an Bord sorge. Die Luft in der Kabine werde alle zwei bis drei Minuten erneuert und entspreche der Qualität in einem Krankenhaus. Hinzu komme, dass die Luft permanent von der Decke herabströme und am Boden wieder abgesaugt werde.

Wie hoch die Ansteckungsgefahr in Flugzeugen wirklich sein könnte, ist allerdings umstritten – wegen der Nähe der Passagiere zueinander, weil die Aerosole nicht sofort abgezogen werden und weil die Klimaanlagen nur im Flugbetrieb voll arbeiten.

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Wie lange bleiben Aerosole in der Luft?

Die Übertragung des Coronavirus über Aerosole ist auch Thema mehrerer Studien. US-Forscher unternahmen ein Experiment, bei dem Testpersonen in einem geschlossenen Raum 25 Sekunden lang den kurzen Satz „Stay healthy!“ laut wiederholen sollen. Wegen der dann gezählten Mikro-Tropfen gehen die Wissenschaftler davon aus, dass eine coronainfizierte Person beim normalen Sprechen im Schnitt pro Minute rund tausend virusbelastete Tröpfchen ausstößt, die etwa acht Minuten lang in der Raumluft schweben. Die Forscher plädieren daher für das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes.

Eine weitere Studie kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Partikel bis zu drei Stunden lang in der Luft nachweisen lassen. Allerdings experimentierten die Forscherinnen und Forscher mit künstlich hergestellten Aerosolen, die sich „grundlegend von hustenden/niesenden Patienten mit COVID-19 im normalen gesellschaftlichen Umgang unterscheidet“, wie das Robert-Koch-Institut hervorhebt. Ob und wie schnell Aerosole absinken, hänge auch von Faktoren wie Raumtemperatur oder Luftfeuchtigkeit ab.

Wie die Raumluft möglichst Corona-frei wird

In geschlossenen Räumen gibt es oft wenig Luftaustausch. Wer sich eine längere Zeit mit vielen anderen Leuten drinnen aufhält, hat eine erhöhte Gefahr, sich etwa mit dem Coronavirus zu infizieren. Nach einer Recherche der Deutschen Presse-Agentur gibt es unter Berufung auf den Hygiene-Experte Martin Exner von der Uni Bonn und den Krankenhaushygieniker Michael Pietsch von der Universität Mainz folgende Möglichkeiten, um die Luft größtenteils zu reinigen.

Hochleistungsfilter: Sie werden auch Hepa-Filter genannt und schon seit vielen Jahren beispielsweise in Operationssälen von Krankenhäusern eingesetzt.

Desinfektion durch Vernebelung: Dabei kommen verschiedene Mittel zum Einsatz, die teilweise nicht ganz ungefährlich sind. Seit über 100 Jahren wird Raumdesinfektion mittels Formaldehyd-Verbreitung durchgeführt. Der Aufwand dafür sei allerdings sehr hoch, außerdem könne Formaldehyd Krebs auslösen, wodurch ein Raum nicht sofort betreten werden dürfe. Alternativ wird Wasserstoffperoxid eingesetzt.

Klimaanlagen: Sie sind weniger professionell, sorgen aber für eine Frischluftzufuhr von außen und kühlen oder wärmen diese: Die alte Luft wird abgesaugt und dann entweder nach außen abgegeben oder gemeinsam mit Frischluft wieder in den Innenraum gebracht. So kommt es auch zu einer Verminderung auch der Keimkonzentration.

Maske und Abstandhalten: Beides gilt weiterhin als wichtige Maßnahmen zum Schutz vor einer Corona-Infektion. Auch das Tragen eines einfachen Mund-Nasen-Schutzes kann einen Luftstrom deutlich minimieren.

Stoßlüften: Mit weit geöffneten Fenstern sorgt dies am schnellsten für einen Luftaustausch. So wird zwar die Gefahr einer Ansteckung über Aerosole geringer, ausschließen lässt sie sich allerdings nicht. Lüften müsste auch aus Sicht des Virologen Drosten stärker in den Blick genommen werden. Wenn das Virus in der Raumluft stehe, müsse es zum Beispiel mit einem Ventilator hinausbefördert werden, sagte er und betonte: „Im Alltag sollte man sich eher vielleicht aufs Lüften konzentrieren und weniger auf das ständige Wischen und Desinfizieren.“

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Drosten plädiert dafür, die bestehenden Richtlinien zu ändern, ohne konkrete Beispiele zu nennen. Denkbar wäre aber, Restaurants und Schulen zum regelmäßigen Lüften zu verpflichten. Der Bundesinnungsverband des Deutschen Klimaanlagenbauerhandwerks rät unter anderem dazu, vor allem Außenluft zu verwenden, statt die Innenluft umzuwälzen.

(Stand: 12. Juli 2020)

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